Hanne Loreck
Medialer Realismus
Katalog „Susanne Paesler“, 2005



Knut Ebeling
True Lies.
Glauben, Wissen, Malen bei Susanne Paesler
Katalog „Susanne Paesler“, 2005












































Hanne Loreck

Medialer Realismus

»But you know, when you have a theoretical and intellectual understanding of something, it’s interesting how powerful the emotions can be.«(1)
Elaine Sturtevant

Ist das »Computerbild eine zweidimensionale additive Mischung aus drei Grundfarben, die sich im Rahmen oder Parergon eines Monitorgehäuses zeigt,«(2) wie Friedrich Kittler lakonisch für diese Bildgattung feststellt, so setzt Susanne Paesler in ihren jüngeren Arbeiten das technische Medium mit dem analogen der Tafelbildmalerei materiell und konzeptuell in eine aufschlussreiche Verbindung. Digitale Prozesse spielen für die Vorbereitung eines Bildes eine wichtige Rolle, sie sind Mittel des Entwurfs und gewisser Arbeitsschritte. Wesentlicher jedoch als der instrumentelle Einsatz der Technologie ist, dass gemalte Bildlichkeit im Rahmen des Computers gedacht wird. Und das heißt, auch wenn nicht er das Bild am Ende fertigt, es sich also nicht um ein »Technobild« (Vilém Flusser) handelt, sondern um ein traditionell gemaltes, hat der Computer eine andere Funktion als die irgendeines Hilfswerkzeugs: In Susanne Paeslers Malerei der letzten Zeit wird absehbar, auf welche Weise das digitale Bild die Episteme der Malerei verändert hat und noch rückwirkend ihren Apparat und ihre Diskurse in ein anderes Licht taucht. Dass die elektronische Bildproduktion ähnlich massenhafte und spektakuläre Züge aufweist wie die ihrer optischen Vorgänger- und Parallelmedien Fotografie, Fernsehen und Kino, macht aus der Malerei – einmal mehr – einen unter vielen Bildfällen, wiewohl einen, dessen Diskurse sich von denen der anderen Medien ganz sicher nicht deshalb unterscheiden, weil ihm gesellschaftliches und ästhetisches Spektakel fremd wären.

Bedeutsamer als jede Befragung des kulturellen Status von Malerei heute, die längst selbst eine ästhetische und theoretische Tradition hat, erscheint in unserem medialen Kontext das Bindeglied Fotografie. Sie war es, die zuerst eine Differenz zwischen idealistischer und empirischer Wahrheit, mithin zwischen Bildgattungen installierte. Die Signifikanten in der Konstruktion von Wirklichkeit, das Korn oder der Rasterpunkt, mussten zu Gunsten der neuen indexikalischen Wahrheit ausgeblendet werden.(3) Kein Wunder also, dass Bildbearbeitungsprogramme Photoshop heißen, um, weit jenseits der einstigen materiellen Foto-Retusche, in Zeiten der diskreten picture elements die ethisch und zivilisatorisch Schwindel erregende Dimension der Umschrift der Daten an jedem beliebigen Pixel mit der angeblichen Wahrheit in der Fotografie zu kaschieren. Vom Auge unbemerkt geht eine solche Umschrift in die Oberfläche ein und bildet den Schein eines realistischen Bildes: Elektronische Bildbearbeitungsprogramme, so Susanne Paesler, setzten »die Fotografie wieder in den Stand der Malerei, Fotografie hat keine verbindliche Referenz mehr zur Realität, sondern sie kann Bilder erzeugen wie die Malerei. Das hat nichts mehr mit Realität zu tun, mit Wahrheit vielleicht. Hier kommt die Fotografie in die Nähe der Malerei, und ich denke, dass das die Position der Malerei wieder verändern wird. Ich denke, dass man das Differenzierungsvermögen, das man in der Malerei entwickeln kann, benötigen wird, um Fotos zu dechiffrieren.«(4) So gesehen mag analoge nicht nur spezifische, sondern sogar vorbildliche Bildlichkeit sein.

Da es also die Malerei ist, die schon immer etwas vom Schein eines Bildes und vom Umschalten von Farbe auf Objekt, von Fläche auf Tiefenraum und von Abstraktion zu Repräsentation, mit anderen Worten: von der Illusion verstand, kann Susanne Paesler das Bild paradigmatisch, nicht informatisch, am Punkt seiner Fälschbarkeit adressieren. Sie modifiziert damit jenen Kontext, der sie seit 1997 in verschiedenen Werkgruppen beschäftigt hat. Das auffälligste Merkmal der früheren Auseinandersetzung mit dem fake war die optische Simulation eines dreidimensionalen Rahmens auf dem planen Bildträger, in der guten alten Sprache der Tafelbildproduktion: der Trompe – l 'oeil. Ihm saß jede fotografische Reproduktion dieser Gemälde auf. Ob auf dem Bildschirm oder einer Drucksache, die Werke lassen sich kaum anders als von einem materiellen Rahmen umgeben wahrnehmen. Andere fake-Operationen der Künstlerin galten der Wiedermalerei eigener Bilder oder dem Effekt, Visualität medienabhängig zu simulieren, ein Bild auf einer texturlosen Maloberfläche so aussehen zu lassen, als sei es auf Fotoleinwand gemalt.(5) Mit solchen Techniken und Kontexten formulierte Susanne Paesler vor knapp zehn Jahren einen Hyperrealismus auf der Ebene der Parerga der Malerei, nicht also auf der Ebene des so genannten Stils. Dieses dekonstruktive Verfahren überträgt sie heute auch auf Produktionsgesten und Bildformen der Computergrafik und praktiziert damit eine spezifische Form von Mimesis, die die Verkettung von Abbild, Abbild des Abbildes und Trugbild apparativ angeht. Ihr medialer Realismus ist jedoch weder zu verwechseln mit dem traditionellen Gebrauch des Begriffs Realismus für die Seite der Bildinhalte, noch mit der Begehbarkeitsanmutung virtueller Räume. Als Malerei werden hier die Hardware- und die Software-Bedingungen eines aktuellen Kunst-Bildes getestet, eines Tafelbildes, das anders, als das konventionelle Realismuskonzept suggeriert, nicht gegenständlich oder figurativ, sondern, ganz im Gegenteil, in einer Malerei erscheint, deren rechnerische Grundlage ihr ästhetisches Analogon in der Abstraktion findet. Dass die Abstraktion selbst, medienhistorisch betrachtet, für die Kunst der Ausstieg aus der um 1900 wesentlich unproduktiv gewordenen Konkurrenz zwischen Fotografie und Malerei gelten kann, sei nur am Rande bemerkt. Spätestens seit der geometrischen Abstraktion stehen dem ästhetischen Bild Darstellungsmodi zur Verfügung, die zumindest im Rückblick mit dem rechteckigen Schema der das Bild bildenden Elementemenge der Computergrafik überblendet werden können.

Der Vergleich zwischen Tafel- und Computerbildern trifft vornehmlich die Funktion der Farbe, weil die Fälschbarkeit des Bildes in der direkten Zuschreibung eines chromatischen Wertes an jedes einzelne Pixel unabhängig von seinen Nachbarschaften liegt und eine solche Manipulation der Wahrnehmung entgeht. Doch während die Industrie versucht, das bislang reduzierte Farbspektrum der Computergrafik effektiverer Illusion halber zu erweitern und an die physikalisch möglichen Farben anzunähern, überspielt Susanne Paesler das derzeitige Auseinanderfallen von rechnerisch exakter additiver Farbmischung und Subtraktion der numerisch unspezifischen Grundfarben des Farbkreises – Rot, Gelb und Blau – in der Malerei auf das chromatische Feld des Grau. Dort, zwischen Software und einer möglichen Anspielung auf die historische Optik der Fotografie, für die im visuellen Spektakel Glaubwürdigkeit zu reklamieren nicht einfach war, wie gleichermaßen auf die täuschungsärmeren Zeiten eines einstmals lediglich schwarzweißen Computerbildes, entsteht etwas Drittes. Denn nur im Akt des Malens kann das »Unerwartete« passieren,(6) sich Neues ereignen: Diese Grautöne vibrieren, sie leuchten, sind intensiv und sie färben ihrerseits in jeder Hinsicht ab auf das, was sie umgibt. Vor allem aber verlassen sie ihre Programmierung und gehen neue Nachbarschaften ein: zur Signatur, zur Mode, zum Design, zur Kunst.

Bedeutsam für eine aktuelle Malerei wie die Susanne Paeslers ist vielleicht weniger, dass die elektronische Mimesis intellektuell wie materiell faszinierend und horrend zugleich erscheint. Vielmehr macht sie die immer schon existente kulturelle und gesellschaftliche Kodierung der Bestandteile des Bildes und besonders des Gemäldes am Punkt von Täuschung und Schein insofern krasser deutlich, als sich in den vordigitalen Tafelbildern der Schein künstlerischer Subjektivität emphatischer idealisieren lässt. Zwar sind die ästhetisch-konzeptuellen Konsequenzen aus solch unterschiedlicher Rezeption und kultureller Wertung von Re/Produktionsmodi längst nicht alle visualisiert, doch bleiben sie in jedem Fall trivial, solange sich nicht über ein Bild eine ganz persönliche Komplikation im Genießen eines Motivs, bestimmter Farben, einer Epoche mitteilt. Solche, vielleicht sogar prekäre, Vor-Liebe lässt sich jedoch nie davon trennen, was bereits als Bildpolitik gewisse Figuren und Grammatiken dem Visuellen eingeschrieben und also Implikationen hat, aber dennoch den intellektuellen Abstand, die Distanz schmelzen lässt.

Wir sind von Artefakten höchst unterschiedlicher ästhetischer Valeurs umgeben, ja in welche gekleidet, bevor wir das erste Museum betreten. Diese Erkenntnis ist, wie alle Figuren der Wiederholung, von Nachträglichkeit geprägt. Und Nachträglichkeit impliziert, zumindest Freud zufolge, das schmerzliche Anerkennen dessen, niemals auf ein sicheres, wahres Außen zurückgreifen zu können, sondern nur die begehrenden Aktualisierungen zu haben, von denen sich unter gewissen ideologischen Vorzeichen sagen ließe, sie seien verfälschend. Susanne Paesler erzählt zum Beispiel, ihre Vorstellung von Willi Baumeister sei über ein Vorhangmuster gekommen, nicht »von den originalen Bildern, sondern von der Zweit- und Drittverwertung. Und so ist es mit ganz vielen Sachen. Es vermischt sich. Ich habe erst die Küchengardine gesehen und dann den Baumeister.«(7) Was wie eine Anekdote klingt, zeigt, wie hinfällig die Idee jeder chronologischen Datenspeicherung im Gedächtnis und die Hoffnung auf historisch korrekte Kausalitäten in der kulturellen Produktion sind und macht deutlich, dass es die Wiederholung ist, die die fragile Wahrheit des Unbewussten garantiert. Solche Verkehrung der Gründe weicht jedoch von jeder heroischen Rezeption von Kunst maßgeblich ab, zumal sie die alltagsästhetischen Ambivalenzen der materiellen Kultur stark macht.

Es ist, als ob man sich noch einmal wie als Kind von den gleichen Formen selbst klebender Musterbögen, anderes gesagt: von der Wiederholung, alles verspräche, begeistert von einer gewissen Schlichtheit und zugleich voller Misstrauen ihr gegenüber, erleichtert darüber, nicht selbst gestalten zu müssen, dann aber enttäuscht von ihrer Beschränktheit in mehrerlei Sinn. Hatte man nicht zutiefst gehofft, ja erwartet, dass die Anderen im Gegensatz zu uns selbst die idealen Bausteine liefern würden? Schwankend zwischen Singularität und Stereotyp, so verhält es sich auch mit der Kunst und nicht anders mit der Computergrafik. Die Geschichte der Kunst selbst mag als eine Serie von Ablösungen, eine dis/kontinuierliche Reorganisation von kulturellen Daten durch das Begehren nach Neuem gesehen werden. Derart stellt ihr bis in die Gegenwart und in die Nachbarvisualitäten reichendes Bildmaterial samt seiner Kontexte einen Fundus, eine Art von Werkzeugkiste dar, die durchaus Gemeinsamkeiten mit den Tools des Computers aufweist. Susanne Paeslers langjährige Arbeit an Bildern über Bilder kann in diesem Sinn als Aktualisierung des Virtuellen der vorhandenen Bilder gelten. Ihr Virtuelles wäre dann das, was sich zu anderer Zeit oder anderen Betrachtern nicht im Horizont des Sichtbaren, des Wahrnehmbaren und der Bedeutung zeigte oder was schlichtweg als nebensächlich galt. Technik würde dazu zählen, einstmals vom Inhalt transzendiert, ebenso jene Formeln oder Sets, die eine Struktur transportieren. Dass solche Figuren oftmals einem Klischee zum Verwechseln ähnlich sehen, sagt allerdings nichts über die Anziehung aus, die sie auszuüben vermögen. Im Gegenteil, sie derart zu dis/qualifizieren, spricht von individueller und kultureller Abwehr. Deshalb, und nur deshalb, verkörpern sie die Wiederholung, und sie produzieren sie. »Es ist vielleicht der höchste Gegenstand der Kunst,« schreibt Gilles Deleuze in Differenz und Wiederholung, »all diese Wiederholungen mit ihrer wesentlichen und rhythmischen Differenz, ihrer wechselseitigen Verschiebung und Verkleidung, ihrer Divergenz und ihrer Dezentrierung gleichzeitig in Bewegung zu setzen, sie ineinander zu verschränken und sie, von der einen zur anderen, in Illusionen zu hüllen, deren >Effekt< sich von Fall zu Fall ändert.«(8) Wiederholen heißt dann für visuelle Elemente, undercover und/oder überraschend an einem anderen Ort zu erscheinen.

Formeln, die in Susanne Paeslers jüngste Bilder hineinspielen, sind das so diverse Vokabular der geometrischen und organischen Abstraktion, des Informel, von Abstraktem Expressionismus und Pop Art. Exponiert die Malerin einen einzelnen dynamischen Pinselstrich in grauer Manhattan-Block-Geometrie, wie der Fachjargon die zerhackten Kurven nennt, dann unterbricht diese jede Stetigkeit eines Bildes, die illusionistische des Computerbildes eingeschlossen, und auch den selbstreferentiellen Modus einer Pinselgeste. Es ist, als ob Susanne Paesler einen Widerstand gegen die Eloquenz der Tradition der gestischen Abstraktion mittels der additiven Aufsplitterung, vor allem aber der Komplikation der grauen Farbigkeit einbaute. Der elegante Schwung einer malerischen Geste erscheint in der Fülle der farblich fein nuancierten Pixel entschleunigt, und differentielle Tempi und jene affektiven Intensitäten werden ins Spiel gebracht, die ohne Vor-Lieben nicht denkbar sind. Die molekulare Organisation, zu der auf der analogen Ebene zuallererst der Pinselstrich als in/diskretes Element der Malerei zählt, stellt sich der aufs Ganze zielenden eines »Schlagbildes« (Aby Warburg) entgegen. Hier wird der Begriff von ikonischer Eindringlichkeit konterkariert, der automatisch Wahrheit für sich reklamiert und echt von falsch zu unterscheiden sich anmaßt, den manche Rezeption noch der abgeschmackten neuen Figurativität in der Malerei nur allzu willig von den Lippen abzulesen und als politisch überzubewerten bereit ist. Konzeptuell anders liegt es da, die Pixel für ein molekulares Denken an dem Punkt zu involvieren, wo ihre Menge eine zweidimensionale Matrix bildet. Bedeutsamer als deren operative Relevanz für die Farbmischung hingegen fällt der aus der Bildschirmperspektive gesehene Flächencharakter der Pixel aus, insofern er strukturell abstrakt ist. Im Sinne ihrer Bildtradition hat die Abstraktion neben ihren vielen Verkennungen geradezu mustergültig deutlich gemacht, dass Dreidimensionalität im Bild nichts als eine folgenreiche Illusion ist. Mit den gerasterten Partien in Susanne Paeslers neueren Bildern lassen sich ihre Stoffmuster-Bilder der neunziger Jahre rekontextualisieren, vor allem aber aus der Perspektive historisch-künstlerischer Materialisierungsformen weitere intermediale Verbindungen knüpfen: zu in der aktuellen Kunstpraxis eher marginalen Formen und Techniken wie dem Mosaik oder dem Weben. Beide unterhalten ein in erster Linie nichtfiktives Verhältnis zum Raum und zum Körper – was noch lange nicht heißt, bei diesen Praktiken wäre kein Imaginäres im Spiel. Die Weberei gab darüber hinaus bekanntermaßen mit dem Lochkartenbetrieb von Webstühlen die Urszene des – Computers ab
und stiftet, symbolisch rührend verharmlosend, bis heute den Namen weltweiter Informationsvernetzung.

Spricht Susanne Paesler mit Hochachtung und Neugier von Künstlerinnen wie Louise Lawler oder Elaine Sturtevant, so sehe ich das nicht als einfache Anlehnung an das, was als Appropriation vornehmlich für soziokulturelle Kritik und kunstmarktskeptische Analyse innerhalb der Kunst steht und sich im Schein moralischer Korrektheit sonnt.9 Ihre Wertschätzung könnte sich vielmehr auf eine nur im Begriff des Begehrens aufgehobene Anökonomie im mimetischen Nochmaltun und der zugespitzten Präzision der Re/Organisation von Vorgefundenem richten. Die Bereicherung des Betrachters und der Kunst liegt genau im Paradox einer maßvollen Verausgabung. Dabei ist es die Differenz, die im Wiederholen wahrnehmbar und dadurch ästhetisch wie affektiv wirksam wird. Wiederholung ist ein Wieder-Holen, ein Noch-einmal-Holen und das heißt auch, ein Von-neuem-Holen. Letzteres ist in einer Art von Umkehr einer autoritären Aktivität ein Zurücknehmen. Jenseits der falschen Suggestion, etwas sei abhanden gekommen, gar weggenommen worden, zielt es zuallererst auf die Unvermeidlichkeit, ja sogar die Notwendigkeit, sich zurückzunehmen. Erst die Wiederholung lässt die stichhaltige, schmerzliche Porosität, ja, die Melancholie des Gewohnten (von Mustern, Blumenbouquets oder dem Mond) wie des Gewöhnlichen sichtbar und spürbar werden. Dieses Melancholische werden die Entwürfe eines PC-Zeichenprogramms nicht los und auch nicht – mit einem Blick auf Louise Lawlers Fotografien gesprochen – zwei teure Bilder berühmter Künstler, die über einem privaten Esszimmertisch hängen. Nie wurden die Versprechen der Malerei zu einem bestimmten Zeitpunkt gehalten und ebenso wenig dasjenige, das Künstler und Künstlerinnen der Malerei und mit ihr der Kunstgeschichte gegeben haben. Allein immer wieder, wiederholt, das Kalkül mit der subjektiv idealen Bildfigur anzustellen und diese dafür der Vektorgrafik zu überantworten, offenbart Verletzlichkeit. Solche Angreifbarkeit gilt durchaus dem malenden Subjekt, in erster Linie aber dem Ideen- und Wunschkomplex Bild, der dafür an Intensität gewinnen wird. Denn ein merkwürdiges Schönes schießt über jedes Bildziel hinaus. Ohne diesen Überschuss wäre ein mediales Vergleichen von Bildlichkeit unproduktiv: Er bringt Einsichten auf den Weg, indem er die Ähnlichkeit entstellt und die Identität dezentriert.

Williamstown, MA, Februar 2005

(1) Elaine Sturtevant. Zitiert nach: Dan Cameron, A Conversation. A Salon History of Appropriation with Leo Castelli and Elaine Sturtevant, in: Flash Art, no. 143, November/December 1988, S. 76–77, hier S. 77.
(2) Friedrich Kittler, Computergrafik. Eine halbtechnische Einführung, in: Herta Wolf (Hg.),
Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Frankfurt am Main 2002, 1. Band, S. 178–194, hier S. 178.
(3) Bemerkenswerterweise wird der Rasterpunkt als diskretes Element der fotografischen Massenreproduktionen mit Roy Lichtenstein in dem Moment zum Thema der Kunst, wo die Entwicklung der Computer kurz vor dem Personal Computer und damit vor einer massenhaften Distribution des neuen optischen Mediums stand; nicht zu vergessen, dass Lichtenstein mit seinen brushstroke-Variationen der Jahre 1965/66 neben dem drucktechnisch motivierten Rasterpunkt das diskrete Element des gemalten Bildes anti-expressiv thematisierte.
(4) Susanne Paesler, Die größtmögliche Ambivalenz aufbauen. Hiltrud Ebert, Ingrid Wagner-Kantuser im Gespräch mit Susanne Paesler, in: Bilder über Bilder [Kat.], Hiltrud Ebert und Ingrid Wagner-Kantuser (Hg.), Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Realismusstudio, Berlin 2000, S. 17–23, hier S. 20.
(5) Vgl. meine Ausführungen zu diesen Operationen: Hanne Loreck, Kritische Eleganz. Susanne Paesler, in: neue bildende kunst, 3/98 (Juni–Juli 1998), S. 45–49.
(6) Vgl. Susanne Paesler: »Manche Sachen präpariere ich auch am Computer, also ich vermische das. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, meine Bilder von jemand Anderem malen zu lassen, weil es entscheidende Momente im Vorgang des Malens gibt, wo Unerwartetes passiert.« Zit. nach: wie Anm. 4, S. -18.
(7) Vgl. Susanne Paesler. Zit. nach: wie Anm. 4, S. 20.
(8) Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung (1968), aus dem Französischen von Joseph Vogel, München 1997, 2. -Auflage, S.364.
(9) Auch ich habe dieses Konzept 1998 mit Susanne Paeslers Arbeit in Verbindung gebracht (wie Anm. 5), würde mich heute aber einer notwendig größeren Kompliziertheit zuliebe, von der oben die Rede ist, da von distanzieren, ohne es gänzlich zu verwerfen. Das Problem scheint mir jedoch im Eigenen zu liegen, ob ange- oder enteignet. Diese Denkfigur setzt immer ein Subjekt voraus, das nicht das Subjekt des Unbewussten, sondern das einer fantasmatischen Handlungsfähigkeit ist. Nehmen wir hingegen an, dass das Eigene nur in den Zügen des Anderen überhaupt kenntlich werden kann, wo es aufblitzt, um sich zu verflüchtigen, sind die Besitz- und Wissensstände ohnehin und mit ihnen die Aneignungsidee nicht mehr klar.

©Hanne Loreck

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Knut Ebeling

True Lies.

Glauben
Sobald man über Kunst spricht – oder sobald man sich überhaupt dafür entscheidet, zu sprechen – sieht man das Gespräch diskreten Oppositionen und Gegensätzen ausgeliefert,die in derselben Bewegung, mit der sie die Vorstellungen kanalisieren, deren Inhalte formatieren. Etwas ist in unserem Sprechen, das sich nicht ganz überschauen, nicht ganz kontrollieren lässt. Auch mit der größten Vorsicht gerät man kaum in den Rücken jener Strukturen, die immer schon determinieren, was wir als sinnvoll oder bedeutend verstehen. Dabei geht es weder um Grammatik und Semantik, noch um logische Propositionen.Unsere Vorstellungen werden nicht nur vom logischen Jenseits ferngesteuert, auch im hermeneutischen Diesseits existieren diffuse Vorgaben, die jedem Sprechenden genau so uneinsehbar sind wie sie ihm plausibel scheinen.
Beispielsweise die Vorstellung, dass man nicht gleichzeitig etwas als »künstlich« und »konstruiert« beschreiben und dieses Etwas dennoch als »glaubwürdig« oder »authentisch« empfinden kann. Wir haben gelernt, es scheint uns plausibel, dass etwas entweder konstruiert ist und künstlich – dann darf man nicht daran glauben; oder dass etwas glaubwürdig ist und gewissermaßen authentisch – dann darf man sein Werden nicht antasten und seine Gemachtheit nicht entmachten. Einer der tiefsten Glaubenssätze der wissenschaftlichen Moderne lautet, dass man nicht gleichzeitig etwas entlarven und an es glauben kann; dass man unmöglich für wahr halten kann, was sich als konstruiert erwiesen hat. Entweder man vertraut seiner Intuition oder seiner analytischen Fähigkeit. Wer aufklärt oder dekonstruiert – und diese aufklärerische Komponente der Dekonstruktion ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden(1) – sollte nicht gleichzeitig behaupten, dass er ans Dekonstruierte glaubt.
Dabei muss man nicht gleich die Wahrheit in der Malerei (2) entsichern, um zu sehen, dass diese rationalen Halluzinationen auch unser Denken über Malerei ziemlich gut im Griff haben. Beispielsweise lässt sich zeigen, dass die oben genannte Vorstellung – Konstruktion gegen Wahrhaftigkeit, Analyse gegen Apotheose – tief in die Erstellung einer Geschichte der Moderne verwickelt ist:(3) Als modern wurde nach einer ebenso geläufigen wie irrationalen Übereinkunft bewertet, was die Konstruktivität und Künstlichkeit des Bildes betonte – und natürlich nicht seine Wahrhaftigkeit. Dieses Credo eines modernistischen Diskurses, der die Konstruktivität des Bildes als Freilegung seiner medialen Bedingungen feierte, lässt sich bei allen seinen Protagonisten studieren.(4) Innerhalb dieser Kanalisierung liefen diejenigen Strömungen naturgemäß am besten, die das Tafelbild als möglichst konstruiert und künstlich herausstellten. Kurz, was alle gewesenen und noch anwesenden Diskurse über Moderne und Modernität uns diktiert haben, war vor allem diese Opposition zwischen einer säkularen Moderne, die sich gegen pikturalen Präsentismus und malerische Unmittelbarkeit absetzte. Auch der Malerei stellt sich also das Problem, dass es unmöglich sei, gleichzeitig an etwas zu glauben, von dessen Konstruiertheit man überzeugt ist; auch in der Malerei sollte man die Intuition aus dem Spiel lassen, wenn an diesem Spiel eine Analyse beteiligt war.
Weil Analyse und Intuition sich in dieser Logik verbinden wie Öl und Wasser, bleibt einer Malerei, die auf der Höhe ihrer Dekonstruktionen bleiben will, eigentlich nur eine zynische Haltung einzunehmen. Denn nichts anderes haben Künste und Kulturwissenschaften im Laufe des 20. Jahrhunderts im Verbund gezeigt, als dass die Geste der Enttarnung den Königsweg der Moderne darstellt. Gemeinsam haben beide immer weitere Bereiche der Kultur als künstlich und konstruiert herausgestellt: das Tafelbild als Effekt seiner Fläche, die Kunst als Effekt ihrer Betriebe, die Aura als Effekt eines Mobiliars. Und so weiter. Seit dieser kritische Medienverbund die kulturelle Vorherrschaft übernommen hat, muss eines der Vermögen auf der Strecke bleiben: Entweder man entlarvt seine Gegenstände, dann bleibt einem nur die Wahl zwischen ätzender Aufklärung oder zynischem Postmodernismus; oder man landet im Lager malender konservativer Revolutionäre, dann bleibt einem gar keine Wahl.
In dieser beengenden Opposition sind aber nicht nur die klassischen Malereidiskurse befangen, sondern vor allem auch die gegenwärtigen. Gerade bei den zeitgenössischen Bildlösungen erstaunt immer wieder die Tatsache, dass kaum solche existieren, die die angegebene Opposition künstlerisch überschreiten und überschreiben. Im Gegenteil, der gegenwärtige Boom neofigurativer Malerei setzt in seinem regressiven Gestus vor allem auf die Rückkehr des Unmittelbaren und Pathetischen, das von den konstruktiven und dekonstruktiven Malereidiskursen ausgeschlossen worden war. Ohne große Probleme lässt sich diese alphornhafte Malerei mit ihrer Rückkehr des röhrenden Hirschen als eine Wiederkehr des Verdrängten beschreiben – das schlichte Zurückschlagen eines Pendels, so vorhersehbar wie die Gezeiten der Mode.
Während die modische neofigurative Malerei behauptet »Wir glauben an die Malerei!« – und es ist dieser völlig unverschämte Glaube, der verblüfft und funktioniert –, wird auf der Drehbühne der Oppositionen der andere, konstruktive Teil wieder weggeschoben. Doch auch wenn man sich bei jenen unverfrorenen Gesten der Rückkehr ins 19. Jahrhundert die Augen reibt, reicht die kaltblütige Frechheit nicht aus, um eine Position zeitgenössischer Malerei zu begründen. Solange die Entwicklung der Malerei darin besteht, das Pendel auf die Gegenseite ausschlagen zu lassen, ist nichts gewonnen.

Wissen
Dabei gibt es Positionen, die die Bewegung befragen, mit der das Pendel von der einen auf die andere Seite schlägt. Beispielsweise die von Susanne Paesler. In der Malerei Paeslers geht es nicht um eine Parteinahme in ästhetischen Klassenkämpfen, sondern um deren Beobachtung. Der Eindruck einer souveränen Distanz, den alle Bilder Paeslers erwecken, kommt möglicherweise daher, dass diese Malerei sich für keine vorhandene Option von Malerei entscheidet. Stattdessen unterzieht sie diese Optionen einer eingehenden Befragung. Paesler nimmt eine Haltung der malerischen Kontemplation ein, die eine gewisse Souveränität ausstrahlt: Hier scheint jemand in jedem Augenblick seine Malerei vollkommen unter Kontrolle zu haben – wobei diese Kontrolliertheit nichts mit der Affekt- oder Triebkontrolle zu tun hat, die man der Malerei unterschob, die als »konkret« bezeichnet wird. In der Tat wäre man gezwungen, den Begriff der Souveränität im surrealistischen Sinne Georges Batailles zu reformulieren, wollte man ihn für Paesler beibehalten: Er besagt dann nicht mehr die Macht der Kontrolle, sondern die Ohnmacht eines Wissens, das nicht ganz verfügbar ist.
Kontrolle besagt bei Paesler eher Wissen und Überblick; eher Kontrolliertwerden als Kontrolle ausüben. Diese Malerin sieht nicht nur, was sie macht; sie sieht auch die Ferngesteuertheit jeder Handlung. Hier malt jemand, der sich vollkommen darüber im Klaren zu sein scheint, was jeder seiner malerischen Schritte impliziert; hier malt jemand die Malerei und überführt sie damit in eine »Beobachtung zweiter Ordnung«.(5) In dieser Ordnung geht es nicht nur um Glauben und Repräsentation, den Glauben und den Zweifel am Repräsentierten; sondern auch um Wissen. Die Frage, ob man der Malerei Glauben schenken kann oder an ihr verzweifeln sollte, wird bei Paesler nie außerhalb des Bezugs zum Wissen über die Geschichte der Malerei betrachtet. Daher kommt die epistemologische Qualität dieser Bilder, dass sie nicht nur nach sich selbst fragen, sondern zunächst und zuerst nach ihrem Gewordensein.
Diese Bilder stellen sich durchaus offensiv in einen Bezug zu ihrem Rahmen, der von Paesler programmatisch ins Bild geholt wird. In diesem Erscheinen, in dieser epistemologischen Emergenz dessen, was die Malerei ist und was sie umgibt, erhält man den Eindruck, hier hätte jemand die Augen geöffnet, diese Bilder seien gewissermaßen mit offenen Augen gemalt – was ja bei kaum einer Tätigkeit so selbstverständlich klingt wie bei der Malerei. Was soll es heißen, wenn jemand sagt, jemand male »mit offenen Augen«? So wie Roland Barthes das Geheimnis seines Schreibens einmal mit dem Wort beschrieb, er könne die Sprache sehen, so vermittelt die Malerei Paeslers den Eindruck, hier könne jemand in der Geschichte der Malerei lesen. Die Sprache sehen, die Malerei lesen; so als wolle jemand diese Geschichte mit den Mitteln der Malerei beobachten und beschreiben. Keine malerische Operation Paeslers – und gerade die scheinbar intuitivsten nicht – steht für sich, jede Operation steht in Verbindung mit einer ganzen Semantik. Sie vollzieht also nicht nur den Schritt von der malerischen Geste zur Operation; diese operative Malerei bildet eine Rhetorik bildlicher Gesten aus, der es weniger auf die Repräsentation als auf die Frage nach deren Kodiertheit ankommt: Es geht um Gesten, die nicht von sich aus bedeuten, sondern um deren Bedeutung man wissen muss. Vermutlich fühlt man sich aus diesem Grund in einer Ausstellung Paeslers ein wenig wie in einem Wörterbuch für Ausdrücke der Gebärdensprache. Diese luziden Gesten einer rhetorisch geschulten Malerei – einer Malerei, die genug Distanz zu sich hat, um in ein Gespräch mit sich selbst einzutreten – wären vielleicht der präzise Sinn, den man dem geläufigen Wort von einem »Diskurs der Malerei« geben könnte.
Dieser Eindruck kann außerordentlich erleichternd sein. Man kann darüber erleichtert sein, dass jemand sich eher dafür entscheidet, in der Geschichte der Malerei zu lesen, als sich für eine ihrer Optionen zu entscheiden; man kann darüber beglückt sein, dass jemand Malerei zitiert, ohne deshalb in reine Zitatenmalerei abzustürzen; ja, man kann es als befreiend empfinden, dass jemand die Malerei als komplette Konstruktion beschreibt – und dennoch an sie zu glauben vermag.
Denn das ist das Geheimnis und das Kraftzentrum dieser Kontemplation auf die Geschichte der Malerei: Dass sie etwas als künstlich herausstellt, an das sie rückhaltlos glaubt. Wenn die Schwierigkeit – nicht nur der zeitgenössischen Malerei – heute darin besteht, dass immer weitere Bereiche des Kulturellen als konstruiert entlarvt werden, an die man aber dennoch irgendwie glauben muss, um sich in ihnen bewegen zu können, dann zeigt die Malerei Paeslers, dass man sich in virtuellen Räumen glaubwürdig bewegen kann – und in dieser Rückhaltlosigkeit geeignete Lösungen für die Probleme der Konstruktivität und Virtualität erhält: Dass man sich hingeben muss, um souverän zu sein. Das ist die Lektion dieser Malerei, dass sich Souveränität und Ohnmacht nicht ausschließen, dass man sich ohnmächtig machen muss, um die Kontrolle über diejenigen Dinge zu erhalten, die uns erhalten. Sie zeigt, dass es möglich ist, an das zu glauben, was man vorher entschieden als Konstruktion entlarvt hat. Man kann eine Linie zeichnen – vielleicht einen Rahmen um ein Bild – und an sie glauben. Man kann die eigene Signatur drucken und sich in diesem Druck vergegenständlichen.

Malen
Diese Arbeit an der Verschränkung dessen, was man eigentlich als geschieden wahrnimmt, diese »kritische Eleganz«(6) wird in keinem Werkteil Paeslers so deutlich wie in ihren Arbeiten aus dem Jahr 2003. Die zwei Komponenten, aus denen diese Bilder bestehen – rasterartige Pixel auf der einen Seite, geschwungene blasenartige Formen auf der anderen –, sind derart oppositionell gegeneinander gesetzt, dass sie auf ihre eigene Gegensätzlichkeit hinweisen. Das testbildartige Raster und die organischen, arp-artigen Formen sind einander deutlich gegenübergestellt, als führte dieses Bild ein Gespräch über die Möglichkeit und die Bedingungen des Unterschiedes, der sie sind – als handele es sich hier nicht um reflexive Malerei, sondern als würde der Mechanismus der Reflexion selbst gemalt. Dennoch – und das ist der Punkt – geht diese Malerei in keinem Moment in einem Diskurs über die Malerei, in einer »Malerei über die Malerei« auf (was Susanne Paesler vielleicht mit Gerhard Richter verbindet). Diese Bilder bleiben trotz aller kontemplativen Distanz als Malerei glaubwürdig; sie hören nicht auf, bildlich zu funktionieren, weil sie die Geschichte der Malerei analysieren. In derselben Bewegung, in der die Geschichte der Malerei als Konstruktion enttarnt wird, bleiben sie beteiligt und undistanziert. Die Vorstellung der Konstruktivität des Tafelbildes führt nicht dazu, dass man seiner Intuition nicht mehr trauen würde. Stattdessen ist es eine kühle Verfallenheit, mit der diese Malerei betrieben wird, eine Art transzendentaler Piktoralismus. Transzendental? In der Tat hat man diese Haltung, die sowohl Subjekt als auch Objekt der eigenen Erfahrung ist, traditionell transzendental genannt; und in der Tat kann man finden, dass man es hier mit einer transzendentalen Malerei zu tun hat, die Reflexion und Präsenz verbindet – die sich in derselben Bewegung zu einer Reflexion auf die historischen Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit aufschwingt, in der sie ihrer schlichten Ausführung hingegeben ist. Diese doppelte Kodierung eines Bildes, das als Präsenz und als Reflexion funktioniert, ist auch der Grund dafür, dass Paeslers jüngste Arbeiten auf diesen beiden Ebenen als True Lies funktionieren.
Der transzendentale Charakter der Malerei von Paesler zeigt sich vor allem in den Details, die zu einer Schaukelbewegung zwischen Reflexivität und Sensibilität führt. Von Kant haben wir gelernt, dass die transzendentale Doppelwertigkeit von bestimmten Phänomenen besonders an den Punkten spannend wird, an denen die Vermögen kollidieren und die Reflexivität beispielsweise unvermittelt auf die Sensibilität stößt – wie das unter anderem beim ästhetischen Urteil der Fall ist; aus diesem Grund konnte Lyotard die Kritik der Urteilskraft an Barnett Newman durchtesten.(7)
Ein anderer Ort, an dem sich Reflexivität und Sensibilität überlagern, sind die gepixelten Pinselstriche Paeslers. Man schaue sich in ihren jüngsten Bildern beispielsweise jene zarten Überlagerungen an, in denen der konstruktive und gerasterte Bildteil mit dem intuitiven und organischen kollidiert. Auf den ersten Blick hat man den Eindruck von natürlichen Überlagerungen zweier Farbwerte, wenn sich die Blasen wie Schleier über das Raster werfen. Tatsächlich wurde dieser Eindruck jedoch nachträglich konstruiert, denn die beiden Bildteile liegen weder über- noch untereinander. Ihre Überlagerung ist nachträglich durch eine Reflexion auf ihre Bedingungen abgemischt worden – darin besteht ihr transzendentaler Anteil. Doch auch diese konstruierte Abmischung besteht nicht einfach aus der Addition zweier Farben; die Operation Paeslers ist nicht mathematisch und nicht analytisch (d. h. man würde ihr nicht durch eine Analyse der Farbkomposition auf die Spur kommen). Die beiden Farben wurden genau so abgemischt – und hierin besteht der piktorale Anteil dieser Malerei – dass es aussieht, als würden die Blasenformen über den Rastern liegen.
Bei der Kollision der Bildteile entscheidet sich die Malerin also weder dafür, die Farben einfach übereinander zu malen, noch dafür, diese Überlagerung als konstruiert zu enttarnen. Stattdessen nimmt sie ein Drittes in Anspruch, das sich weder in Termini der Vermittlung noch der Aufhebung beschreiben lässt. Dieses Dritte lässt sich am ehesten als eine Art malerischer Mimikry beschreiben: als ein Versuch der Verdopplung des Natürlichen, der seine Konstruktivität nicht verschleiert.
Dieser Konstruktivität des Natürlichen begegnet man bereits in einigen älteren Zyklen Paeslers. Das dort unter anderem aufgegriffene abstrakt-expressionistische Vokabular erweckte ebenfalls den Eindruck einer intuitiven Gestik, die sich jedoch als nachträglich konstruiert herausgestellt hatte. Während in diesen Arbeiten ausgerechnet Abklebungen verwendet wurden, um den mythischen Primitivismus der Drippings zu dekonstruieren – zu dekonstruieren, indem man Pollock imitierte –, werden seit einigen Jahren Bildbearbeitungsprogramme eingesetzt, um den Mythos der organischen und intuitiven Form zu dekonstruieren – zu dekonstruieren, indem man verdoppelt. In beiden Fällen besteht die Eleganz der Bilder genau darin, dass der intuitive oder naturgemäße Eindruck nicht einfach am Rechner erzeugt wird und die Bilder in keinem Moment in ihrer dekonstruktiven Bewegung aufgehen.
Am Ende dieses mehrfach kodierten Herstellungsprozesses stehen Bilder, die weder das eine noch das andere sind. Sie kommen weder mit dem Objekt noch mit dem Subjekt, weder mit dem Dekonstruierten noch mit der Geste der Dekonstruktion zur Deckung. Die Tatsache, dass Paesler nicht analytisch verfährt, heißt noch lange nicht, dass sie bei einer Malerei der Synthese landet. Stattdessen produziert sie Bilder die »weder grau noch bunt« sind, wie sie sagt. Dieser Satz erinnert in seinem totalen Entzug an jenen anderen Satz, nach dem etwas »gleichzeitig nicht sichtbar und nicht verborgen«(8) sei.
Was ist an der Malerei Paeslers nicht sichtbar und was nicht verborgen? Warum sind ihre Bilder weder das eine noch das andere? Nicht verborgen ist diese Malerei, weil sie wie viele andere auch die Bedingungen ihres eigenen Erscheinens zeigt; zugleich landet sie aber nicht in einer völligen Sichtbarkeit, weil diese Konstruktionsgesetze von ihr nicht als Selbstzweck ausgestellt, sondern in einen malerischen Prozess einbezogen werden. Was diese Bilder um vieles geheimnisvoller macht als andere.


(1)Jacques Derrida, Glaube und Wissen. Die beiden Quellen der ›Religion‹ an den Grenzen der bloßen Vernunft, in: Die Religion, hrsg. von Jacques Derrida und Gianni Vattimo, Frankfurt am Main 2001.
(2) Jacques Derrida, Die Wahrheit in der Malerei, Wien 1992.
(3) Vgl. dazu die Rolle, die Manet im modernistischen Diskurs z. B. bei Greenberg spielt, oder bei Foucault, in: Michel Foucault, Die Malerei von Manet, Berlin 1999.
(4) Vgl. die einschlägigen Texte von Clement Greenberg, Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken, Dresden 1997; Michael Fried, Three American Painters, Harvard 1965; neuerdings auch: Yve-Alain Bois, Painting as Model, Cambridge/Massachusetts 1990.
(5) Thomas Wagner, in: Frankfurter Kreuz [Kat.], Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main 2001.
(6) Hanne Loreck, Kritische Eleganz, in: neue bildende kunst, 3/98 (Juni - Juli 1998),
S. 45 –49
(7) Jean François Lyotard, Die Analytik des Erhabenen. Kant-Lektionen, München 1994.
Vgl. dazu: Ästhetik im Widerstreit. Interventionen zum Werk von Jean-François Lyotard, hrsg. von Wolfgang Welsch und Christine Pries, Weinheim 1991.
(8) Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1973, S. 158.


©Knut Ebeling

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